Severin Groebners Newsletter
Groebners neuer Glossenhauer
Der neue Glossenhauer

Verlorene Liebesmüh'

19. Mai 2025

Jetzt ist es endlich passiert.
2024 wurde immer gesagt, dass es ein „Superwahljahr“ wäre, aber: Nichts gegen 2025!

Erst die Deutsche Bundestagswahl, die die Gliederpuppe Friedrich Merz zum Bundeskanzler gemacht hat.

Dann die Papstwahl, die einen US-Amerikaner mit der Ausstrahlung eines leicht verklemmten Schalterbeamten zum „größten Brückenbauer“ kürt.

Und jetzt die wichtigste Wahl des Jahres. Wenn nicht Jahrzehnts.
Nein, nicht die Präsidentschaftswahlen in Polen und Rumänien, die darüber entscheiden, ob Pate Putin seinen Einfluss auf Europa noch mehr ausbauen kann. Es geht vielmehr um ein Wahlereignis in Basel in der Schweiz, das so immens wichtig ist. Und es handelt sich dabei nicht um das Standortförderungsgesetz und die Velo-Routen-Initiative, über die man heute im Kanton Basel-Stadt abgestimmt hat.

Im Gegenteil: Viel zu lange Titel. Unser Ereignis hat nur drei Buchstaben - ESC.
Die Euphoric-Screaming-Competition.
Vulgo: Song Contest. Früher mal: Grand Prix de la Chanson. Realistisch: Schlagerwettbewerb.

Und gewonnen hat Österreich. Austria. Autriche. Rakusko. The Land with no Kangaroos.

Also eigentlich nicht ganz Österreich. Denn bei mir sind heute morgen keine kreischenden Österreich-Fans vor dem Küchenfenster gestanden und haben mit sich überschlagenden Stimmen den Landesnamen skandiert.
Vielleicht kommt das noch. Aber ich hoffe nicht.

Gewonnen hat eigentlich ein junger Countertenor, der sich JJ nennt.
In der Landessprache also: „Dschei-Dschei“.
Die österreichische Autorin Christine Nöstlinger hat einmal vor knapp 50 Jahren eine Radio-Figur für Kinder entwickelt, die hieß „Dschi-Dschei-Wischer“. Jetzt haben wir also sowas ähnliches im Radio, einen „Dschei-Dschei-Sänger“. Es geht also was voran im Land.

Auch wenn sich der Sänger für nationalistische Gefühle nicht wirklich eignet. Das ist - nach seinen zweifelsfrei vorhandenen, großartigen gesanglichen Fähigkeiten - die zweite sympathische Eigenschaft des Gewinners.

So ist er etwa aufgewachsen im eher unösterreichischen Dubai.
Auch wenn der überbewußte Österreicher das wohl für einen Vorort der Osttiroler Stadt Matrei halten dürfte, liegt dieser Ölstaat ganz woanders. Nämlich am persischen Golf, den sie dort arabischen Golf nenne, und seit Trump letzte Woche dort zu Besuch war, heißt er wahrscheinlich „zweiter amerikanischer Golf“. Auch weil in der Vergangenheit die USA dort mehrere Golfkriege geführt haben. Wie die Staaten der Region seither die USA nennen, weiß man nicht. Vielleicht „Golfschläger“.

Egal. Zurück zu Dschei-Dschei.
Später hat erst dann bei der „Voice of UK“ mitgemacht und erst danach an der österreichischen Variante „Starmania“ teilgenommen. Auch diese Reihenfolge dürfte kein Wohlklang in superpatriotischen Ohren sein.

Obendrein wurde er an der Staatsoper ausgebildet. Ein Platz, den der durchschnittliche FPÖ-Funktionär auf einem Foto nicht von der Wiener Universität unterscheiden könnte. Oder vom Kunsthaus Bregenz. Dschei-Dschei gehört also sichtlich und hörbar zur „abgehobenen Elite“.

Das merkt man schon an der Kombination aus Barock und Techno, den der Siegertitel „Wasted Love“ ausstrahlt. Dazu lassen sich auch ganz schlecht Fahnen schwenken.

Und er ist - wie bereits erwähnt - Countertenor.
Beherrscht also die Gender-fluideste Stimmlage, die was man sich als woker Wahnsinn nur denken kann. Dass er auch noch mehrere Sprachen spricht, sich also auch mit Ausländern unterhalten (!) könnte, rundet das volksfremde Bild ab.

Der gemeine Österreichsbürger wird also wenig Freude mit diesem internationalen Erfolg haben.

Aber: Wer weiß? Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Und es kann durchaus sein, dass sich jetzt auch ein paar bucklige Cousins aufs Foto drängen. Gespannt wartet die Nation etwa auf die Reaktion von Andreas Gabalier. Was wird der Großmeister des heiseren Gekrächzes mit Taschentuch am Mikroständer jetzt wohl sagen? Der Mann hatte ja nach dem Sieg von Conchita Wurst seinerzeit gemeint, dass er es als „Manderl“, das auf „Weiberl“ stehen würde, schwer hätte. Womit er damals sprachlich übrigens alle Männer und Frauen zu grammatikalischen Neutrümmern eingeebnet hatte.

Was wird er jetzt zu Dschei-Dschei sagen? Vielleicht: „Man hat’s schwer selbstverliebter Poser für die bildungsfeindliche, rurale Kleinbürgerschicht, wenn da einer kommt, der wirklich singen kann.“?

Und wenn dann noch der Orban Viktor erfährt, dass das „Budapest Scoring Orchestra“ den Siegertitel eingespielt hat - mit einem bekennend queeren Sänger. Uiuiui. Gerade will die Budapestbeule doch die Pride-Parade verbieten, dann gehen ihm diese Musiker vom Ständer… von der Stange.

Und doch gäbe es für den nartional-bewegten Österreicher (und seine Gattin) zahlreiche Anknüpfungspunkte in dem Siegerlied.

Der Titel des Stücks allein: „Wasted Love“, zu deutsch: Verlorene Liebesmüh’.
Das holt doch die Heerscharen an immer Zu-kurz-Gekommenen und Stets-Unschuldig-Unverstandenen emotional dort ab, wo sie stehen: Im Eck.

Auch die Performance. Der Show-Act erzählt eine Geschichte, die sich von einem Papierschiffchen zu einem Drama auf hoher See entwickelt. Was kann es für das Alpen&Binnenland typischeres geben als den fliegenden Holländer von der alten Donau? Und das pünktlich zur Eröffnung der Badesaison.

Obendrein ist es das erste Schwarz-Weiss Video im Song Contest seit 1967.

Also zurück in die Vergangenheit. Das passt. Dort will das ganze Land hin.
Die einen in die 80er, die anderen in die 70er, knappe 30 % sogar in die späten 30er. Wohin, da sind die Meinungen gespalten, sicher ist nur: in die Zukunft mag keiner. Die Nostalgie passt also, obendrein unterstreicht das Schwarz-Weisse Bild auch das Schwarz-Weiss Denken im politischen Diskurs.

Und im Finale hat man sich noch gegen Israel im letzten Moment durchgesetzt. Das können sich noch die Antisemiten im ganzen Land freuen. Und die ausländischen Antisemiten auch gleich mit.

Trotzdem wird Dschei-Dschei vielleicht trotzdem heimlich frohlocken, dass die FPÖ doch nicht in der Regierung sitzt. Denn ein FPÖ-Innenminister würde wahrscheinlich gleich die Gültigkeit seiner Aufenthaltsgenehmigung überprüfen lassen. Weil ein Mensch mit teils philippinischer Herkunft ja grundsätzlich ein fragwürdiger Österreicher ist. Schließlich ist im Land der engen Alpentäler jeder verdächtig, der mehr als drei Großeltern hat.

Fazit: Mit Dschei-Dschei hat Österreich endlich wieder eine Person, die den urösterreichischen Wunsch nach einem Wunderkind, einem Wunderwuzzi oder einer Wunderkerze erfüllt.

Denn erstens haben wir in Österreich Wunder gern.
Realität weniger. Denn, wenn die sich dann am Schluß gegen das Wunder durchsetzt (was sie immer, wirklich immer immer immer tut, die blöde Sau), dann… wundern wir uns. Unschuldig. Wie wir von Natur aus sind.

Zweitens ist zu erwarten, dass der musikalische Wunderwuzzi nicht soviel Schaden anrichtet wie die letzten beiden. Nach den Wunderwuzzis Sebastian Kurz (Politik) und Rene Benko (Wirtschaft) gehen wir mal davon aus, dass Dschei-Dschei keine rechtsradikalen Inhalte in der Musik salonfähig macht oder musikalische Ruinen in Innenstädten hinterlässt.

Und wenn doch… naja… dann wundern wir uns.
Und wissen, dass das ganze Spektakel eine beschränkte Lebensdauer hat.
Denn kommendes Jahr in Wien wird das nächste Gesangs-Talent gekürt.
Aber vielleicht hat Wien auch Glück und Salzburg oder Bregenz muss das Event ausrichten.
Oder Matrei in Osttirol.
Mitten in den Bergen. Würde passen.
Ist der ESC doch irgendwie ein großes Jodel-Diplom.

In diesem Sinne:
Wasted Hollaredulilove!
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