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Der neue Glossenhauer

Von Amts wegen

Das Vertrauen in die Institutionen des Staats schwindet. Ist aber so auch kein Zufall.
8. Juli 2023

Die digitale Verwaltung wird von vielen herbei gesehnt, wenn sie sich mal wieder stundenlang im Amt die Wand angeschaut haben. Oder in der Wartezeit „Ulysses“ ausgelesen haben. Oder ein Modell des Petersdoms aus Zahnstochern im Verhältnis 1:1000 im Warteraum gebaut haben. Warum, fragt man sich, kann man das nicht alles digital von zuhause aus erledigen?

Gar nicht zu reden von der fragwürdigen Notwendigkeit bei der Beantragung eines Angelscheins die Geburtsurkunde der Großmutter mitführen zu müssen.
Digital, meint man, wäre das alles viel einfacher.

Mag sein, aber auch der Staat bleibt ein Staat, wenn er sich digitalisiert.
Zum Beispiel in Australien. Ein Land, das der Österreicher in erster Linie mit Känguruhs, Waldbränden und Ansichtskarten verbindet, die einen sehr großen Umweg genommen haben, dort hat es gerade einen Untersuchungsbericht zum „Robodebt“-Skandal gegeben.
Einer klitzekleinen digitalen Fehlleistung, die Empfänger von Sozialhilfe - die ein Algorhythmus herausgefiltert hatte - aufgefordert hatte, ihre Unterstützung zurückzuzahlen. Und zwar schnell. Forderungen von mehreren tausenden austarlischen Dollar regnete es plötzlich auf hunderttausende Menschen nieder. Menschen, die - weil sie ja vorher Sozalhilfe bezogen hatten - überraschenderweise gar nicht soviel Geld hatten.
Ein Trauerspiel, dass auch immer die Armen so arm sein müssen! Man hat den Eindruck, die machen das mit Absicht. Das mach Stirnfalten beim durchschnittlichen Zweithausbesitzer mit Drittauto samt hybridem Viertaktmotor und fünf Aktiendepots, so dass er sich am Kopf kratzt und fragt: Mögen diese Armen am Ende gar kein Geld?

Die Sozialhilfe-Empfänger hatten keine Zeit für diese Gedanken, denn die Rückzahlungen der für sie immensen Summen sollten innerhalb weniger Wochen passieren. Mindestens drei Menschen hat dieser falsche Algorhythmus in den Tod getrieben. Der verantwortliche Sozialminister, der dann Finanzminister wurde, danach Premier von Australien und jetzt in Pension ist, sagt: Er habe stets aus guter Absicht gehandelt.
Na, dann ist ja alles gut.

Wenn er das absichtlich gemacht hätte! Aber so… na okay…
Und das ist ja auch alles weit weg. Könnte in Europa nicht passieren.
Nein, ist nämlich schon passiert. In den Niederlanden. Im fast exakt gleichen Zeitraum wie in Australien - nämlich 2016 bis 2019 - hat man auch hier von Menschen Sozialleistungen zurückgefordert, die sie angeblich zu Unrecht bezogen hätten. Folge: zerbröselnde Ehen, Notverkäufe, Finanzbeamte, die Kühlschränke abtransportieren.
Interessanterweise waren in den Niederlanden unter den Familien, von denen das Kindergeld zurückgefordert hatt, auffallend viele Fälle mit Namen, die nicht sooo ganz ursprünglich niederländisch klingen. So dass sich der Verdacht aufdrängt, man hätte hier gezielt gesucht.

Ob mit Algorhythmus oder händisch mit Karteikarten, das weiß man nicht.
Das macht einem ein mulmiges Gefühl, während man hier auf diesem Amt wartet.
Und dann fällt einem natürlich noch der Film „Brazil“ von Terry Gilliam ein, in dem eine Fliege, die auf ein Papier fällt eine Kettenreakt… ach was. Selber anschauen. Sehr guter Film.
Einziges Problem: kein Film in dem man aufwachen möchte.
Da kann man ja gleich sein Leben im Amt verbringen.